Alle Wege führen zum Öl – Der Bau von Zugangsstraßen im Amazonas
Mit tosendem Lärm und dem Gewicht von 200 Jahren kracht ein mächtiger Ceibo-Baum auf die feuchte Erde, in der seine Wurzeln kurz zuvor noch sicher verborgen lagen. Durch die plötzliche Abwesenheit dieses Urwaldriesen dringt Sonnenlicht durch das Blätterdach auf das Unterholz, das nie zuvor der Hitze der direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt war. Das ohrenbetäubende Kreischen der Kettensägen begleitet das Krachen des Holzes und den dumpfen Aufprall weiterer gefällten Bäume in dieser gewaltätigen industriellen Symphonie im Regenwald.
Während Männer in Helmen und Arbeitsoveralls Baum für Baum fällen, pflügen Traktoren durch den Grund und reißen Büsche und Wurzeln heraus. Dampfwalzen plätten die Erde mit einem hohlen, blechernen Dröhnen. So bohrt sich eine weitere Straße in den dichten, bisher unberührten Regenwald des Amazonas.
Mit der Entdeckung des schwarzen Goldes im Amazonas von Ecuador begannen Ölkonzerne Straßen durch den Regenwald zu bauen, um die Ölquellen mit der Außenwelt zu verbinden, und Pipelines zu verlegen, um das Rohöl zu extrahieren, das aus dem Waldboden gepumpt wird. Bald schon wurde die Region zu einem Labyrinth von Verbindungsstraßen, die sich quer durch den Wald ziehen – und jedes Jahr werden mehr Ölstraßen gebaut.
Wo zuvor unerreichbare Waldgebiete zugänglich werden, kommen Siedler und nutzen den Straßenzugang, um landwirtschaftliche Betriebe zu gründen und neue Gemeinden zu formen. Hierfür werden weitere Landstriche entwaldet und neue Straßen gebaut. Dies wird auch als „Fischgräten-Effekt“ bezeichnet: kleine „Gräten“ oder Sekundärstraßen zweigen von der „Wirbelsäule“, der ursprünglichen Ölstraße, ab. Aus der Luft erinnern diese Straßennetzwerke an Fischskelette.
Die Straßen erlauben nicht nur den Ölkonzernen immer tiefer in den Wald vorzudringen, sie öffnen den Wald auch für verstärkte Abholzung, landwirtschaftliche Nutzung sowie die Jagd. Wo Straßen gebaut werden, verschwinden Wälder und Tierwelt.
Der Bau der Ölstraßen verändert die indigene Lebensweise im Amazonas. Der Lärm von Bau und Verkehr verjagt das Wild. Jäger kommen von außerhalb der Territorien, dies führt zu Überjagung und Wildtierknappheit. Siedler beginnen in die indigenen Gebiete einzudringen, Entwaldung und die Verkleinerung des Landes der indigenen Vorfahren sind die Folge. Mit den Straßen kommen auch Einflüsse von außen, wie Alkohol. Oft mündet dies in einen Kreislauf von indigener Abhängigkeit von Erwerbsarbeiten wie Holzfällen oder der Arbeit für Ölkonzerne.
Straßen bedeuten für die Angehörigen der indigenen Gemeinden auch Zugang zu Märkten, Schulen und Krankenhäusern. Oftmals bilden sich aufgrund dieser Vorteile neue indigene Gemeinschaften entlang jüngst erbauter Straßen. Doch das indigene Leben verändert sich durch die Straßen. Viele Gemeinden, für die der Bewahrung des Regenwaldes Priorität hat, verbieten standhaft den Bau von Straßen auf ihren Territorien. „Ich habe gesehen wie Straßen die Art verändert haben, wie mein Volk lebt,“ sagte eine Waorani aus einer Gemeinde ohne Straßenzugang in der Provinz Pastaza. „Die Waorani, die in Gemeinden entlang der Straßen leben, sind zu Bettlern der Ölkonzerne geworden. Ich denke, dass der Moment, in dem eine Straße meine Gemeinde erreicht, unser Ende bedeuten wird.“
Englischer Original Blog Post: Alex Goff, Amazon Frontlines
Bilder: Mitch Anderson
Übersetzung: Julia und Fabio Bär