Imagine Light – Bericht einer Projektreise in den Amazonas

 
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Plötzlich dunkel. Stromausfall.

Der ein oder andere Herbststurm macht dies sogar noch im hochentwickelten Deutschland möglich. Ich taste mich zu einem Schrank vor, um die Taschenlampe heraus zu kramen. Als meine Suche erfolglos bleibt, drücke ich instinktiv noch einmal den Lichtschalter und muss schmunzeln – bei Stromausfall kann man halt kein Licht machen, um die Taschenlampe besser zu finden. Diese Regung, bei Bedarf einen Schalter zu drücken – gerade, wenn es um Licht geht – scheint schon fast in meine Körperlichkeit übergegangen zu sein. Nach einer Weile stehen Kerzen in fast jedem Zimmer. Ein Wohlgefühl darüber, dass ich nicht weiter arbeiten kann, weil es kein Internet gibt, stellt sich ein, gepaart mit einer kurzen Ratlosigkeit darüber, womit diese Zeit nun gefüllt werden möchte. Wie eine Katze, die aus Ratlosigkeit ihrer Übersprungs-Handlung nachgeht, setze ich den Wasserkocher auf, um in der selben Sekunde diesmal nicht mehr ganz so amüsiert festzustellen, dass Tee zwar perfekt in diese Atmosphäre passen würde, Teekochen aber auch nicht geht. Während ich überlege, ob der Aufwand übertrieben wäre, mich auf die Suche nach dem Campingkocher zu machen, geht das Licht wieder an. Grell. Schade. Der Router piepst, für mein Ohr fast schon mahnend. Mich überkommt eine starke Sehnsucht nach Einfachheit. Dieser kurze Ausflug in den Eingangsbereich der Ursprünglichkeit hält mir Fluch und Segen unseres Versorgungszustandes vor Augen.

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Zwei Wochen später.

Das zu Beginn etwas unregelmäßige Geknatter eines startenden Generators wird zum gleichmäßigen Lärmen, das die abendliche Geräuschkulisse in Ukavati dominiert, neben Kinderlachen, Salsa-Klängen aus scheppernden Lautsprechern und der unglaublichen Vielzahl an Tierstimmen, die so kennzeichnend für die Nächte im Regenwald ist. Vermutlich ist es ein Frosch, der sich erfolgreich gegen den Dezibel-Bereich des Generators durchsetzt. Licht aus einer nackten Birne erhellt jetzt das gemütliche Innere der Hütte. Ottilia lässt sich auf dem Dielenboden neben der Tür nieder und nimmt ihre Handarbeit auf. Sie durchsticht Samen um Samen und fädelt diese auf eine lange Schnur. Nach kurzer Zeit reicht sie mir wortlos den Faden, der die Nadel verlassen hat. Ich pfriemle im Schummerlicht der Hüttenecke die Schnur durch das schmale Öhr. Diese kleine Hilfestellung für die Großmutter des Haushaltes scheint kulturübergreifend zu existieren, fast schon archetypisch. Gibt es nicht ein Märchen, in dem dieselbe Situation stattfindet? Meine Assoziationen enden abrupt mit der Erinnerung daran, dass Ottilia nur fünf oder sechs Jahre älter ist als ich. Zusammen mit ihrem Mann Egídio hat sie drei Kinder großgezogen, eine weitere Pflegetochter lebt noch bei ihr. Ihr jüngster Enkel Armando tobt um uns herum, er versucht das Räuchergut, das die Sandfliegen abhalten soll, mit einem Lumpen anzufachen. Ottilias Familie lebt in der kleinen Siedlung Ukavati, bestehend aus etwa acht Haushalten, im nordöstlichen ecuadorianischen Amazonasgebiet.

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Freiheit durch Ursprünglichkeit oder Technologisierung?

Eine naiv-romantische Auslegung des Lebens der Menschen hier ist sehr verlockend für mich, die Besucherin aus Europa, die ich doch so oft der Leistungsorientierung, des Optimierungsgedankens, der Schnelllebigkeit und der Technologisierung meiner Heimatregion müde bin. Während meines einwöchigen Aufenthaltes erscheint es mir als eine Freiheit, in Ermangelung einer Dusche im Fluss zu baden und für mein tägliches Geschäft ein Loch im Wald zu graben. Abendliche Stunden in trauter Familienrunde bei kargem Kerzenlicht stillen in mir ein Bedürfnis nach Einfachheit und Überschaubarkeit, das ich nicht zuletzt zuhause beim letzten Stromausfall schmecken durfte. Der Grund meiner Reise scheint in diesem Zusammenhang paradox: Wir sind hier als Team der jungen Organisation LOVE FOR LIFE, um mit den Familien zweier Dörfer die Pilotphase eines Solar-Projekts zu planen, das die abgelegenen Gemeinschaften mit nachhaltigem Zugang zu sauberem Solarstrom versorgen soll. Highend-Technologie also, an einem Ort, der nur mit Kanus erreichbar ist, an dem es nicht ein einziges WC gibt. Die Frauen hier kochen zum Teil über offenem Feuer, jedes Kind wird mit Hilfe der weiblichen Familienangehörigen zuhause geboren. Die Menschen gehen zum Jagen, wenn sie in der Nacht von Tieren geträumt haben, und nicht, wenn die Supermarkt-Reklame auf Angebote hinweist. Dennoch besitzt fast jeder Haushalt ein Handy. In einer Familie im Nachbardorf spielen die drei jugendlichen Söhne E-Gitarre und E-Bass. Wenn genügend Geld da ist für den Diesel, dann feuern die Familien abends den Generator, um die frühe und kurze Äquator-Dämmerung ein wenig heraus zu zögern. Der Rest des Tagwerks wird dadurch erheblich erleichtert: Kochen, Handarbeiten, Hausaufgaben und Kleinigkeiten erledigen. Meine wiederkehrenden zivilisationskritischen Bedenken, ob es Sinn macht, dazu beizutragen, dieses mir so ursprünglich erscheinende Leben mit der SAT1 und RTL-Plus-Option zu versehen, schrumpfen, als ich zum wiederholten Mal vor dem Schlafengehen meine Zahnbürste nicht finde, weil das Licht meiner Stirnlampe nicht ausreicht, die Tiefen meines Rucksacks zu erhellen. Beim Klogang übersehe ich ein Spinnennetz auf Kopfhöhe, weil ich so sehr darauf bedacht bin, den Weg gründlich nach Schlangen abzuleuchten. Als ich endlich liege, geben die Batterien der Lampe auf, lange, bevor ich den täglichen Erfahrungsbericht zu Ende geschrieben habe. In zwiespältigen Überlegungen gefangen, krame ich den iPod heraus, um zumindest noch eine Audio-Aufnahme des wunderbar verrückt anmutenden Insekten-Getöses zu erstellen, jetzt, wo endlich der Generator aus ist. Die Uhr auf dem kleinen Wundergerät zeigt 19.30 Uhr.

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Der Tag beginnt früh bei den Cofán. Als wir uns um 6.00 Uhr langsam aus dem Moskitozelt schälen, werden wir von Jaqueline amüsiert beobachtet. Sie ist die 13jährige Pflegetochter der Familie und sicher schon seit zwei Stunden auf den Beinen, um dabei zu helfen Chucula zuzubereiten, das zähflüssige Getränk aus zerdrückten Kochbananen oder Yucca und Wasser. Morgens läuft der Generator nur selten, die Chucula wird dann nicht mit dem Mixer, sondern von Hand zubereitet, mit einer quirlartig geformten Wurzel. Ich frage mich, wieviel Geduld ich wohl hätte, mein Frühstück jeden Morgen mit einem Stück Holz aus dem Wald zuzubereiten. Weniger das Holz wäre hierbei das Problem, als vielmehr die Arbeit – und die Menge: die Familie zählt derzeit fünf Erwachsene, zwei Kinder und drei Besucher. Meine verschlafenen Überlegungen, warum sie die Chucula nicht abends vorbereiten, wenn der Generator noch läuft, enden eine Sekunde später in der Kühlschrank-Sackgasse. Nahrungsaufbewahrung ist eine Herausforderung bei konstanten 27°C Außentemperatur.

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Die Cofán und das Öl

Im Zuge der Projektplanung für LOVE FOR LIFE begleiten wir Ottilias Familie durch den Tag, wollen besser verstehen, was das Leben hier ausmacht, für die Menschen in Ukavati, die dem Volk der Cofán angehören. Die Cofán leben in dem Teil des Ecuadorianischen Regenwaldes, der seit den 60ger Jahren in weiten Teilen ölverseucht ist. Diese Umweltkatastrophe hat international in den Medien als der Chevron/Texaco-Fall Wellen geschlagen, jedoch nie in der Art, wie z.B. das Öl-Desaster im Golf von Mexico 2010, obwohl das Ausmaß der Vergiftung eine Krankheitsepidemie ausgelöst hat, die das kulturelle sowie physische Überleben der indigenen Völker bedroht.

Ölkonzerne hinterließen viele Millionen Liter Rohöl-Abfälle im Amazonas und vergifteten das Wasser, dass die Bevölkerung zum Trinken, Baden und Fischen benötigt.  Photo Credit: Lou Dematteis

Ölkonzerne hinterließen viele Millionen Liter Rohöl-Abfälle im Amazonas und vergifteten das Wasser, dass die Bevölkerung zum Trinken, Baden und Fischen benötigt.  Photo Credit: Lou Dematteis

Hier im Amazonas sind von den Verantwortlichen nie in irgendeiner Form Anstrengungen unternommen worden, die verseuchten Wälder und Gewässer aufzuräumen. Ein seit Jahrzehnten fortlaufendes Gerichtsverfahren führte 2011 zu einem Urteilsspruch gegen den Ölmulti Chevron, mit einem Rekordurteil in der Geschichte des Umweltrechts in Höhe von 19 Mrd. Dollar. Der Konzern erkennt diesen Urteilsspruch jedoch nicht an und hat bis heute nicht einen Dollar für die Beseitigung der toxischen Abfälle oder die Reinigung von Gewässern geleistet; vielmehr investiert er zu seiner Verteidigung unsägliche Summen in Anwalts- und Gerichtskosten.

Im Amazonas ist die Umweltkatastrophe gepaart mit der Zerstörung der Lebensgrundlage für viele Völker, die seit Jahrtausenden in den Wäldern leben. Diese Völker sind oft nicht groß, jedoch sind ihre Sprachen und die Kulturen, die sie entwickelt haben, einzigartig. Und einige dieser Kulturen zählen mittlerweile zur traurigen Bilanz der sterbenden Kulturen und Sprachen unseres Planeten. Das Volk der Cofán, zu dem Ottilias Familie gehört, zählt derzeit etwa 1600 Menschen.

Imagine Light

Das geplante Solar-Projekt IMAGINE LIGHT manifestiert sich in mehrfacher Hinsicht zu einem einzigartigen Zeitpunkt: Vier der betroffen Völker, die zu Ecuadors Minderheiten-Gruppen zählen, die Cofán, die Waorani, die Siona und die Secoya, haben sich in einer Allianz zusammengeschlossen. Diese Völker haben in der Vergangenheit bis heute ihre Kulturen und ihren Lebensraum fortlaufend mit unterschiedlichsten Einflüssen von außen verhandeln müssen: Spanische Konquistadoren, Missionare, eingeschleppte Krankheiten, Siedler, andere indigene Völker, Ölkonzerne und heute sicherlich die westliche Kultur. Jeder dieser Einflüsse stellte und stellt das Fortbestehen der indigenen Völker und ihrer Lebensweisen im äußersten auf die Probe.

Die Gründung der Allianz Ceibo ist eine politische Self-Empowerment-Bewegung der vier genannten Volksgruppen, die vereint für ihre Rechte und Bedürfnisse Position beziehen, um ihr kulturelles Überleben zu sichern und ihren heimatlichen, natürlichen Lebensraum zu schützen. Dieser Zug ist insofern bemerkenswert, als die Allianz sich vorrangig um den Aufbau von vier stärkenden Säulen kümmern möchte: ein Kampf gegen die Ölkonzerne oder eine weitere Verfolgung des Rechtsstreits um die Aufräumarbeiten in ihren Wäldern stehen dabei gar nicht in erster Linie auf der Agenda. Die Allianz hat entschieden, dass sie zuallererst eine gute Wasserversorgung für ihre Menschen sowie eine Versorgung mit Solarstrom bewirken möchte. Des Weiteren bilden die Ermächtigung und Gleichberechtigung von Frauen sowie die Restaurierung ihrer Kultur und den Schutz der Wälder die Grundlage ihrer Bestrebungen. Diese primäre Ausrichtung auf positive Lebensziele beeindruckt uns sehr, vor allem angesichts der uns so ungerecht anmutenden Lebensumstände; diese verlocken nur allzu leicht dazu, in einer generellen Anklagehaltung zu verharren oder sich wütend dem vielgekämpften Kampf gegen die Ungerechtigkeitder Welt anzuschließen.

Ceibo-Baum, den indigenen Völkern heilig, ein Symbol für Hoffnung und Stärke. Photo Credit: Lou Dematteis

Ceibo-Baum, den indigenen Völkern heilig, ein Symbol für Hoffnung und Stärke. Photo Credit: Lou Dematteis

LOVE FOR LIFE’s Solar-Initiative IMAGINE LIGHT stellt somit eine Antwort dar, auf den deutlich formulierten Wunsch der vier Völker, ihre Energieversorgung auf eine saubere und unabhängige Art und Weise zu bewerkstelligen. Es ist einleuchtend, dass die Familien der Cofán, um ihr Bedürfnis nach Elektrizität zu stillen, nicht länger ihr Geld für den Diesel, den die Generatoren benötigen, zu den Unternehmen tragen möchten, die ihre Lebensgrundlage zerstören. Der Diesel ist verhältnismäßig teuer für die Menschen im Amazonas, die zum Teil ein subsistenzwirtschaftliches Dasein leben. Manche Familien müssen ihre Kinder unter der Woche bei Angehörigen unterbringen, die in der Gemeinde wohnen, in der sich die Schule befindet. Nur wenige Familien verfügen über ein so stabiles Einkommen, dass sie sich die Menge an Treibstoff leisten können, die sie benötigen würden, um den täglichen Schulweg der Kinder mit dem Kanu zu bewerkstelligen, und um abends, wenn die Kinder nach Hause kommen, den Generator zu betreiben, damit die Kinder bei Licht ihren Hausaufgaben nachkommen können.

Secoya-Kinder machen im Kerzenschein ihre Hausaufgaben und lernen für die Schule. Photo Credit: Alex Goff

Secoya-Kinder machen im Kerzenschein ihre Hausaufgaben und lernen für die Schule. Photo Credit: Alex Goff

Für uns korreliert das Solar-Projekt auch mit der ökologischen Bewegung, die sich im wirtschaftlichen Norden der Welt derzeit formiert. Und mit der einhergehenden Bewusstwerdung vieler Menschen um die sozialen und wirtschaftlichen Groß-Zusammenhänge. Der Amazonas steht für uns als eines der Gebiete auf Erden, an denen die Eindrücklichkeit der Natur geradezu als etwas Heiliges erscheint. Es ist ein Paradoxon, dass genau dort diese massive Umwelt- und Lebensraumzerstörung stattfindet, um unseren Lebensstandard im Norden zu bedienen. Und es erscheint dann wiederum sehr schlüssig, dass genau dort Energie sauber erzeugt werden muss. Und dass unser Lebensstandard und unser technologischer Fortschritt es ein Stück weit schuldig sind, Menschen im Amazonas mit sauberer Technologie zu unterstützen; dort, wo noch Teile der Ursprünglichkeit und der elementaren Naturverbundenheit gelebt werden, an die wir uns im besten Fall nicht nur während eines Stromausfalls erinnern.

Autorin Stefanie macht im Kanu auf dem Aquarico im Territorium des Volkes der Cofán Notizen.

Autorin Stefanie macht im Kanu auf dem Aquarico im Territorium des Volkes der Cofán Notizen.

Autorin: Stefanie Grömmer

 
Stefanie Grömmer